ostseerunde

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Jockel
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Beitragvon Jockel » Fr Sep 16, 2016 17:29

Eine Nachlese zur Ostseerunde von Jens und mir.

Nachdem ich lange mit mir gehadert habe und die Idee von XTom einerseits total g**l fand (siehe auch diesen post), andererseits für meinen Geschmack zu viel Fahren und zu wenig Schauen dabei war, hab ich beschlossen, eine "kleine" Runde zu fahren.
Dabei haben sich Jens und ein ganz anderer Tom eingeklinkt.
Wir hatten uns seit November 2015 mit der Planung beschäftigt und waren übereingekommen, daß wir den Bottnischen Meerbusen auslassen und dafür die Åland-Inseln besuchen wollten, also gewissermaßen Inselspringen statt Metermachen.

Der andere Tom hat mit Moppettfahren nicht viel am Hut, aber vor 20 Jahren in St. Petersburg russisch studiert und wir hatten sowieso vor, uns da mal gemeinsam umzuschauen. Wir also auf dem Landweg, er mit dem Flieger.
Das Hotel an der "6. Straße der Roten Armee", südlich vom Zentrum bei der Metro-Station Технологи́ческий институ́т (Technologinski Institut), hatten wir von hier aus gebucht, erster Tag war der 29. Juni - eine Woche während der Weißen Nächte. Visum für zweifache Einreise hatten wir auch, also mußten wir nur in elf Tagen heil dahin kommen.

Ich hatte trotz des Verflixums bei der Mai-O-Fahrt meinen PowerDynamo-Umbau draufgelassen (aber mit Schraubensicherung...), noch ein paar Teile drangesteckt (z.B. ein Alu-Motorschutzblech, dank Ralle) und ansonsten auf meine Packerei mit Tankrucksack, Fahrradtasche und Packsack vertraut. Mein modifizierter Originaltank (12 l plus Reserve) sollte in Europa reichen, dachte ich. Außerdem war ich der Werkzeugbeauftragte (sogar ein Ritzel samt Mutter und Blech hatten wir mit, unbenutzt bis heute...).
Jens hatte seinen Plastiktank draufgemacht und seine Stoßdämpfer (Austausch), Batterie und Regler erneuert (Original), bloß kochte die Batterie gleich am ersten Tag über und war fortan platt. Das blieb sie auch, was zur Folge hatte, daß er statt Bremslicht einfach ein Rücklicht hatte, das bei Bremslichtschalterbetätigung kurz ausging und dann normal weiterleuchtete. Also fuhr ich - außer den seltenen und kurzen Nachtetappen - als Nr. 2 mit fitter Heckbeleuchtung. Jens war außerdem der Küchenbeauftragte.

Am Sonntag nach dem XTCE ging es los, und zwar links rum, also erst Richtung Osten (was ja rechts ist, aber, äh, ...).
Zwei Tage lang hat Kay aus Berlin uns mit seiner LC8 begleitet.
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Tag 1: Emmingen nach Peeselin (329 km)
Nach einer Nacht im Saal des Schützenhauses (Vorteil: kein Zelt auf- und abbauen) ging es los. Das Wetter begrüßte uns gutgelaunt und wir düsten Richtung Norden, während die Emminger an den Nachwirkungen der letzten Nacht arbeiteten.
Hinter Schwerin fanden wir eine ganz hübsche, sehr gewundene kleine Straße durch Felder und Dörfer und schließlich übernahm Kay, der ein antikes Navi besitzt und führte uns nach Peeselin.
Dort wurden wir freundlichst empfangen von Gaby und Uwe (alte Freunde von mir, die ich zum ersten Mal dort besucht habe) und boten großartige Begrüßung mit St. Pauli-Winkelementen, Speis', Trank und Bettstatt. Außerdem gab es eine kompetente Einführung in unsere neuerworbenen NVA-Planen (Uwe und ich waren zur gleichen Zeit Soldaten, aber in verschiedenen Armeen...).
Morgens gab es lecker Frühstück von Gaby. Dann wollten wir los Richtung polnische Grenze.
Allerdings hatten wir festgestellt, daß Jens seinen Internationalen Führerschein hatte zuhause liegenlassen und sind erstmal nach Anklam zum StVA gesaust, wo er tatsächlich einen bekommen hat (und wir mußten sie auf der ganzen Fahrt niemandem zeigen... Ich hatte übrigens meine Grüne Versicherungskarte vergessen, hat auch keiner nach gefragt).
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Set to go in Peeselin. Im Hintergrund überwacht Uwes Mutter die Startaufstellung.
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Tag 2 und 3: Peeselin - Mielno - Malbork (499 km)
Allerfeinstes Wetter begleitete uns nach Polen, wo wir in Swinoujscie (Swinemünde) die kleine Fähre für Einheimische benutzen konnten ("Stellt Euch mal an die Seite zwischen die Fahrräder.")
20160620_154508_j_Swinoujscie_Kay_b800.jpg
Kay auf der Fähre in Swinoujscie
Wir hatten als nächste Ziele die Marienburg und Königsberg anvisiert, die Gegend um Gdansk (Danzig) wollten wir auslassen, weil es da einerseits viel zu sehen gibt (was ja auch ganz schön aufhalten kann), man andererseits da aber immer wieder mal hinkommt. Erstmal ging es allerdings bei bestem Wetter die sehr schöne Küstenstraße längs nach Kolobrzeg (Kolberg), wo wir größere Kontingente von Wasser ersetzen mußten.
20160620_183836_j_Kolobrzeg_jb_jj_800.jpg
Am Hafen in Kolobrzeg
Abends fanden wir dann in Mielno, nördlich von Koszalin (Köslin), einen Campingplatz mit kleinem Imbiß, wo wir was Leckeres zu essen kriegten.
Dann trafen wir noch Sönnich aus Hamburg, der mit einem WoMo dort war, sich unserer Spätpatroullie zum Strand anschloß und mich sinnierend...
20160620_215453_sd_Mielno_jj_800.jpg
...und uns alle auf einem Anleger abgelichtet hat.
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Männer im Dunklen.
Eine herrliche Nacht bei Vollmond.

Morgens Frühstück, packen und los. Schietwetter deutete sich an, und Kay drehte dann nach dem Tanken kurz hinter Koszalin ab nach Berlin.
Für uns ging es über Slupsk weiter nach Malbork.

Auf dem Weg fragten wir bei einem lokalen Motorradhändler nach, ob er vielleicht so etwas Exotisches habe wie eine 6-Volt-Batterie, wo er passen mußte. Immerhin hatte er ein paar Birnen und war völlig erstaunt, daß wir mit diesen Dingern ernsthaft noch weiter wollten.
Ein bißchen social engineering bei Yamaha Deutschland per Telefon brachte immerhin zwei Adressen in Riga und Tallinn hervor, wobei sich die eine als Musikalienhandlung herausstellte und die andere als eher eingeschränkt kompetenter Händler, der sich nicht in der Lage sah, auf Verdacht für Leute, die gerade erst in Polen sind, eine 6V-Batterie zu besorgen.
Den Gedanken, eine bei einem uns wohlbekannten Höker in der Steilshooper Straße zu bestellen und nach St. Petersburg schicken zu lassen, verwarf Jens und fuhr einfach so weiter.

Inzwischen hatte sich auch der Himmel wieder berappelt, die Sonne kam wieder.

In Malbork hatte gerade die Strabag (!) die Hauptdurchfahrtsstraße auf einigen Kilometern weggefräst, es herrschte ein ziemliches Durcheinander, Stau und Löcher zu groß zum Durchfahren nervten uns bei Abwesenheit von Hinweisschildern. Die Marienburg ist allerdings nicht zu übersehen, immerhin das größte Backsteingebäude Europas.
Den Campingplatz bei der Burg fanden wir nach einigem Suchen und registrierten, daß Kay den gewünschten Dinosaurier-Spielplatz doch noch bekommen hätte, wenn er bis hierhin mitgefahren wäre.

Weiter: Malbork - Rybatschi
Zuletzt geändert von Jockel am Sa Jul 08, 2017 16:21, insgesamt 13-mal geändert.
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Re: ostseerunde (1-3)

Beitragvon sixtyfour » Fr Sep 16, 2016 23:19

Hallo Jockel - schöner Bericht. Bin immer wieder fasziniert, was ihr euch alle so gönnen könnt :!: Ich freue mich schon auf deine weiteren Einträge. Schade aber auch, dass (bislang) so wenig Resonanz kommt ... weitermachen!!!
Warum konsumieren? Ich mag meinen alten Kram!
___
halbe Sachen sind der sichere Weg zu einem unerfüllten Leben: http://hlx500.de

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Re: ostseerunde (1-3)

Beitragvon XTom » Fr Sep 16, 2016 23:36

Hier schon einmal die Marienburg in Malbork, die hat Jockel uns empfohlen und so waren wir auf dem gleichen Campingplatz wie er und Jens:

Gruß XTom
Dateianhänge
Malbork.jpg
Marienburg
www.xt-500.de

XTtracer und XTom auf dem TAT (Trans America Trail), Juli 2019
Youtube Dokumentation auf www.coast2.de
6. Internationales XT500 Treffen 2022 in Italien

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Re: ostseerunde (1-3)

Beitragvon Jockel » Sa Sep 17, 2016 0:05

Bin immer wieder fasziniert, was ihr euch alle so gönnen könnt
Alle zwei Jahre darf ich mal was Größeres machen.
;)

Hätte es "Reisen" schon vor zwei Jahren gegeben, wäre hier ein Bericht von meiner 3332-km-Tour zum Treffen in Belgien (über Polen und Tschechien) erschienen.
Schade aber auch, dass (bislang) so wenig Resonanz kommt ... weitermachen!!!
Ich glaube, schade wäre es, wenn ich das nicht aufschreiben würde. Ist halt auch 1 bißchen Arbeit und geht nicht auf einmal.

Den Baltic 13 konnte man praktisch in Echtzeit über die Schulter gucken, und ich erzähle nu hier ne Geschichte, die sogar noch älter ist als deren Runde - das interessiert aktuell doch niemanden.
Ist aber auch nicht schlimm, weil die Geschichte ja - wenn sie erst fertig ist - allen zur Verfügung steht.
Das finde ich ja so klasse an diesem Forum: Man kann im Extremfall eine Millisekunde aktueller sein als jemand anders, und am Ende ist beides nächsten Monat praktisch gleich alt. Dann kommt es wieder auf den Inhalt an. Der bleibt.
Hier schon einmal die Marienburg in Malbork
Boar, das find ich jetzt total gemein, daß Du spoilerst, wo ich alle beide subscriber noch bis morgen abend auf die Folter (...) spannen wollte.
;)
Zuversicht ist das Gefühl, das Du hast, kurz bevor du das Problem ganz verstehst.

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Re: ostseerunde (1-3)

Beitragvon JOXT » Sa Sep 17, 2016 22:20

Moin Jockel,
super das Du uns an deiner Reise teil haben lässt.
Hoffentlich folgen noch viele weitere Berichte von Dir und auch von anderen.

Gruß
Jo.
Generation "XT500"

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Re: ostseerunde (1-3)

Beitragvon XTfant » Sa Sep 17, 2016 23:18

Hallo Jockel - schöner Bericht. Bin immer wieder fasziniert, was ihr euch alle so gönnen könnt :!: Ich freue mich schon auf deine weiteren Einträge. Schade aber auch, dass (bislang) so wenig Resonanz kommt ... weitermachen!!!
Hey Markus, nicht so schnell.
Vielleicht wollen die Leute erst einmal die Geschichte fertiglesen ;D

Jockel, mach einfach weiter :lol:


LG
Kirsten

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ostseerunde (Tag 4: Malbork - Rybatschi)

Beitragvon Jockel » So Sep 18, 2016 12:37

Ausgeschlafen fuhren wir am nächsten Tag ohne Gepäck zur Burg. Da fährt das Moppett echt ganz anders.^^

In einem anderen Land sollte man zumindest die wichtigsten Sachen in der fremden Sprache sagen können, solche Begriffe wie ja, nein, bitte, danke, Guten Tag, Auf Wiedersehen und die Frage, ob jemand deutsch/englisch spricht. Da finde ich kleine Wörterbücher ganz hilfreich, und ich hatte die für finnisch, schwedisch und dänisch wie auch die entsprechenden Karten "unserem" Tom gegeben, damit er sie nach St. Petersburg mitbringt. Vorher brauchten wir sie ja nicht.
Ich finde, Grundkenntnisse der Sprache (und der Schrift in Rußland) hilft deutlich bei zentralen Dingen wie Wegfindung und bei der Auswahl im Supermarkt. Und es hilft, den Menschen zu begegnen. Sonst war ich ja eigentlich gar nicht da.
Weil ich vor zwei Jahren schon (kurz) in Polen war, fiel mir das jetzt eher leicht.

Bei der Burgbesichtigung gab es eine ziemlich gute Führung auf deutsch über Kopfhörer und Transponder: Der Kommentar wechselte, wenn man in einen anderen Raum kam. Echt klasse gemacht.
Die Burg ist wirklich riesig und schön und hatte über Jahrhunderte den größten Saal Europas und... den Rest müßt Ihr woanders nachlesen.
20160621_174446_jb_Malbork_Marienburg_jb_1000_72.JPG
Jens mit Burg
20160622_083346_jb_Malbork_Marienburg_1600_72.JPG
Echt ganz schön...
20160622_100302_jb_Malbork_Marienburg_Panorama_450_72.JPG
...ziemlich riesig.
Wir wollten dann doch weiter, trotzdem wir immer noch nicht die ganze Burg gesehen hatten (dafür braucht man etwa zwei ganze Tage, denke ich), denn das Wetter drohte mit erhöhter Luftfeuchtigkeit. Kurz nach Mittag haben wir uns dann von Malbork verabschiedet - und hinter dem Kreisverkehr vor der Hauptstraße reißt mein Kupplungszug.
Jens hat dann stirnrunzelnd meinen Verlegungsweg betrachtet und gemeint, daß das Abreißen so ja auch kein Wunder wäre. Dann haben wir meinen - schon parallel verlegten - Reservezug nach seiner Idee umgebaut...
20160622_110848_jb_Malbork_Kupplungszug_1500_72.JPG
Büschen schrauben I
...und ich freue mich heute noch, wie leicht meine Kupplung geht.
:dance
20160622_090000_track_Malbork-Rybatschi_222.jpg
Tag 4: Malbork - Rybatschi (222 km)
Auf der Fahrt Richtung Kaliningrad (Königsberg) kamen wir auch am Frischen Haff vorbei und durch Frombork (Frauenburg), wo wir (praktisch aus Versehen, weil mein polnisches Geradebreche von der netten jungen Dame mißverstanden wurde und statt Eis und Kaffee) für unsere letzten Złoty lecker Eiskaffee bekamen.
Ich erinnerte mich an die tieferen Rindenschichten meiner Bildung, daß dort irgendwas mit Kopernikus gewesen war, genau wußte ich es nicht mehr (Nikolaus Kopernikus war von 1513 an dort Domherr und ist seit 1543 in der Krypta des Doms begraben, aber das habe ich gerade aus der Wikipedia gepuhlt).
20160622_131754_jb_Frombork_jj_1300_72.JPG
Traumwetter am Frischen Haff mit lecker Eiskaffee
Wir wollten den alten Übergang bei Gronowo (Grunau) in den Oblast Kaliningrad nehmen und kamen bis zur Genze gut durch - dann Schlangestehen mit vielen Polen, die zum Tanken nach Rußland wollten. Wir verbrachten knapp drei Stunden dort, von 15.30 bis 18.20, und mußten die Formulare zweimal ausfüllen ("Nicht gut, nicht gut, nochmal!"). Dann aber.
Viele Leute an der Grenze leben praktisch davon, daß das Preisgefälle bei Sprit extrem ist, investieren in ein Visum und stellen sich an. Hinter der Grenze biegen sie sofort zur nächsten Tanke ab, und die Straße nach Königsberg war vor und hinter uns leer.
Straßenschilder auf kyrillisch, aber ich hatte ja schon büschen geübt.

Wir hatten und wollten kein Navi, stattdessen gab es von allem Karten.
Als wir nach Königsberg kamen, bereuten wir, daß es wir keine besser auflösende Karte von der Stadt hatten, denn ein wichtiges Ziel für mich war das Grab von Immanuel Kant beim Dom auf der Insel Königsberg (die der Stadt den Namen gegeben hat). Der Umweg, auf dem wir durch eine undurchschaubare Verkehrsführung dorthin kamen, brachte uns aber immerhin versehentlich an das Friedrichsburger Tor, eine der wenigen vollständig erhaltenen Festungen, die in alter Zeit um die ganze Stadt herum errichtet worden waren.
Den Dom hatten wir dann doch fix gefunden, konnten ihn aber nur zu Fuß erreichen (die uliza Kanta (Kant-Straße) darf nicht befahren werden), also parkten wir an der Brücke über den Alten Pregel und gingen abwechselnd hin, weil wir die Moppetts nicht alleinlassen wollten.
Anschließend ging es weiter Richtung Nehrung nach Zelenogradsk (Cranz).
Dort wurde extrem gebaut, der ganze Südteil des Ortes war praktisch umgepflügt, die Umleitungen schwer verständlich, aber wir hatten sowieso erstmal Hunger und fanden nach einigem Gepussel die Uferpromenade mit semilegalem Motorradparkplatz.
20160622_211428_jb_Zelenogradsk_1100_72.JPG
Parkplatz für spätes Nachtmahl.
In dem Restaurant an der Uferpromenade bekamen wir nicht nur leckeren Tee, sondern auch ein exquisites Gericht, dessen Namen ich nicht verstanden habe, und auf Nachfrage konnten wir auch nicht herausbekommen, was für eine Art Fisch es gewesen ist:
Ganz dünn geschnittener, gefrorener Fisch mit frischer Zitrone, Kartoffeln und geröstetem Brot, auf dem wir frische Knoblauchzehen verreiben sollten. Wow.

Sehr spät kamen wir los und fuhren gaaanz langsam Richtung Nidda auf die Kurische Nehrung.
Diesen Teil bedecke ich mit höflichem Schweigen, den kann ich nicht öffentlich erzählen.
Wir sehen uns an den Tanzenden Bäumen wieder.

Weiter: Rybatschi - Airītes
Zuletzt geändert von Jockel am Sa Jul 08, 2017 17:37, insgesamt 7-mal geändert.
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ostseerunde (Tag 5: Rybatschi - Airītes)

Beitragvon Jockel » Mo Sep 19, 2016 0:24

Ziemlich früh morgens kamen wir dann bei den "Tanzenden Bäumen" auf der Kurischen Nehrung an. Faszinierend anzusehen, und keiner weiß, warum die dort so wachsen.
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Die ganze Nehrung ist ein schmales Naturschutzgebiet (Eintritt 350 Rubel, ca. 5 €) von knapp 100 km Länge mit einer Straße, auf der man im russischen Teil nicht über 60 km/h fahren und nur an den Parkplätzen anhalten darf. Links die Ostsee, rechts das Haff.
An großen, runden Steinen kann man sich bei trübem Wasser recht schmerzhaft stoßen, aber das ist an der Ostsee häufig so, weil die Gletscher sie beim Schmelzen einfach liegengelassen haben.

Wir hielten danach nochmal an, weil die Hoffnung bestand, daß an einer der geschlossenen Buden vielleicht schon jemand einen Kaffee hat - unser Wasser war nämlich alle und wir konnten deshalb keinen selbermachen. Beim Losfahren rutschte ich im Stand mit dem Fuß weg, konnte die Karre nicht mehr halten und hab sie hingelegt. Dabei lachte ich erst überrascht und dann lauthals über mich selber. Der Russe auf dem Parkplatz schaute, als ob er mich für ziemlich durchgeknallt hielt.
Und weil der Schwerpunkt bei meiner Packerei einfach zu hoch ist (oder ich nicht stark genug bin), kriegte ich sie alleine nicht wieder hoch. Jens packte an, alles gut. Und weiter.

Etwa in der Mitte der Nehrung verläuft die Grenze zu Litauen, Grenzort dort ist Nidda mit einer großen Düne, einem kleinen Hafen und dem einzigen Campingplatz weit und breit.
Vorher muß man allerdings Rußland verlassen, was auch wieder etwas länger dauerte: Zunächst waren wir froh, daß frühmorgens die Schlange ganz kurz war, dann stellten wir allerdings fest, daß sie sich aber auch nicht bewegte. Die Kapazität der gesamten Grenzstation, Visa zu kontrollieren, Formulare an diversen Stellen zu stempeln und was sonst noch wurde von einem Bus beansprucht, der uns entgegenkam - auf dem Weg nach..., na?
Richtig, Paderborn. Mit dem Busfahrer hatten wir einen netten Schnack, der mußte ja auch warten und hatte einige hilfreiche Tips.

Schließlich ging es weiter und wir drehten gleich zum Hafen nach Nidda ab. Da gab es leckeres Frühstück (einmal das Ganze mit Rührei, Bacon, Brötchen, frischem O-Saft, Wasser und viel Kaffee, wahlweise auch Pfannkuchen) und eine freundliche Schnackerei mit dem Skipper eines Kurenkahns, Nachbau eines der historischen Fischereifahrzeuge.
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Der Skipper ist gern mal zu Besuch in Hamburg. Sein Deutsch ist deutlich besser als mein Litauisch.
Unser Plan für den Tag war noch unklar, denn hier waren nun überall die Vorbereitungen für die Johannis-Nacht (litauisch: Joninės) vom 23. auf den 24. Juni zu sehen, der im Baltikum allgemein der höchste Feiertag nach Weihnachten ist. Wir wollten einerseits vorankommen, andererseits vielleicht die Gelegenheit zu einer freundlichen Feier nutzen. Bloß: Wo?
Am Ende kamen wir zu einem schönen, merkwürdigen Ort, an dem wir völlig ungestört feiern konnten, das wußten wir aber noch nicht.

Unser Weg am fünften Tag:
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Tag 5 (311 km)
Erstmal ging es bei amtlicher Hitze die Nehrung hoch nach Klaipeda, wo eine Autofähre uns auf das Festland brachte.
Dort fanden wir in der Innenstadt einen großen Supermarkt, wo wir all das bekamen, was inzwischen als fehlend festgestellt worden war (mein Tabak ging zur Neige, Zucker und ein Nagelknipser fehlten und wir brauchten WASSER) und fuhren dann erstmal parallel zur Küste die Autobahn hoch, um aus der Stadt herauszukommen - Ampelstops hatten Saunacharakter.
In Palanga schauten wir uns um, wo in einem Park am Meer schon eine größere Party mit Life-Musik auf litauisch stieg. Das war uns allerdings zu früh für den Tagesabschluß. Also tanken und weiter. An den Straßen viele Kinder und Erwachsene mit Blumen- und Eichenkränzen, die uns zuwinkten. Wir winkten freundlich zurück. Viele Autos trugen einen Eichenzweig im Kühler, Festtagsschmuck halt.
Der Weg führte uns wieder ins Landesinnere und wir fanden extrem schicke Schotterpisten, manchmal über 40 km am Stück. Inzwischen hatten wir die Grüne Grenze nach Lettland passiert und sahen uns an einem See um, wo wir in eine Sackgasse kamen. Beim Wenden blieb ich mit dem Stiefel an irgendwas hängen und kippte mit dem Moppett auf die rechte Seite - Halterung vom Auspufftopf gebrochen, Naht vom Halteband vorn links am Tankrucksack gerissen. Mist.
Schrauberpause.
Den Auspuffhalter hatte es schon vorher geschwächt, die eine Bruchstelle war rostig. Die andere war frisch.
Aus dem Nippelsatz eine Bowdenzugseele durch den Topf und um die Rahmenhalterung gelegt, mit nem Nippel festgespannt und dann die Halterung eingeklemmt und festgeschraubt (zuerst machte ich mir ein bißchen Sorgen deswegen und wir schauten regelmäßig nach; am Ende hielt es bis zuhause und noch weiter, insgesamt über 5.000 km).
20160623_172800_jb_Lettland_ProvisoriumAuspuffhalterung_1100_72.JPG
Büschen schrauben II
20160623_172838_jb_Lettland_jj_1100_72.JPG
Da war ich echt angefressen.
Für den Tankrucksack reichten sechs der Reserve-Zeltgummis, mit denen ich die vorderen Spanner und den Klettverschluß am Rucksack verband. War etwas nervig beim Tanken, ging aber.

Weiter ging es über kleine Straßen und mehr Schotter. Dabei war meine einseitige Beladung mit der schweren Fahrradtasche (Werkzeug, Motorflüssigkeiten, Klappspaten etc. links) ziemlich hinderlich, weil das Kurvenverhalten unterschiedlich war und der Heidenau wenig Seitenführung auf losem Untergrund hat.
Schließlich kamen wir nach Skrunda, wo es noch einen offenen Supermarkt gab. Wir deckten uns ein, und Jens kriegte es schon wieder hin, für 20 Euronen alles einzukaufen, was wir brauchten. Bloß Platz dafür hatten wir nicht mehr. Also gab mir Jens seinen kleinen Rucksack, wo wir alles reinpackten. Der lag praktisch auf meinem Packsack, bloß hielten die Schultergurte nicht richtig und rutschten mir entweder die Arme runter oder waren zu eng.
Später haben wir das dann mit meiner Reserverolle aus dem Zeltsack gelöst, die besser bei ihm auf den Berg paßte.

Dann entdeckten wir ein paar Kilometer Richtung Saldus ein Hinweisschild auf Airītes, einen Ort, den wir schon als Hinweis auf eine Sehenswürdigkeit von der Karte kannten. Wir hatten allerdings keine Ahnung, was das sein sollte.
Etwas abseits der Hauptstraße fanden wir ein kleines Gehöft mit Wirtschaftsgebäuden nach alter Sitte, das jedoch ein Museum war. Ein Mahnmal in dunklem Marmor verwies auf eine Geschichte um einen Menschen namens Oskars Kalpaks, der hier 1919 zu Tode gekommen war.
In dem Wäldchen nebenan eine Feuerstelle und kunstvolle Skulpturen, die Krieg und Tod darstellten, aber anders als ich das bisher kannte.
Jens entdeckte einen Brunnen mit Pumpe, die zwar schwer zu regeln war, aber wir hatten Wasser. Wir beschlossen, hier zu bleiben, stellten unsere Zelte weiter unten an die Wiesenecke und warfen das Feuer an. Die Pfanne ersetze den Grill, das Bier war noch halbwegs kühl - ein sehr entspannter Abend am Feuer.
Im Feuerholz fand ich eines kleines Heft in Lettisch über das Museum. Lesen konnte ich es leider nicht.

Ich nahm es trotzdem mit und inzwischen stehe ich in Kontakt mit Roberts Siepenieks, der das Museum leitet. Er hat uns herzlich eingeladen, das nächste Mal zu den Öffnungszeiten zu kommen - feiertags geschlossen.
Über ihn habe ich inzwischen erfahren, daß Oskars Kalpaks der erste Oberbefehlshaber der litauischen Streitkräfte nach der Unabhängigkeitserklärung war, und er starb am 6. März 1919 in einer irrtümlichen Konfrontation mit seinen Verbündeten - deutschen Freikorps-Kriegern - bei einer erfolgreichen (...) Zangenbewegung gegen Rote Lettische Schützen im Dienst der Sowjetarmee an genau diesem Ort.

Wir haben trotzdem gut geschlafen, ausgiebig und früh gestückt (ich stehe sonst selten vor sieben auf, um die Zeit hatten wir längst den Kaffee fertig) und uns noch ein bißchen umgesehen.
20160624_064050_jb_Airites_jj_jb_1100_72.JPG
Frühstück in Airītes. Im Hintergrund das Museum.
Einpacken in strahlender Morgensonne und um neun war Antreten.
20160624_084228_jb_Airites_jj_1100_72.JPG
Die Zeltwiese. Im Hintergrund - na? - das Museum. Links das Wirtschaftshaus.
Richtung Riga ging es weiter: Airītes - Treimani
Zuletzt geändert von Jockel am Mi Okt 19, 2016 23:44, insgesamt 9-mal geändert.
Zuversicht ist das Gefühl, das Du hast, kurz bevor du das Problem ganz verstehst.

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Re: ostseerunde (1-3)

Beitragvon Nils » Mo Sep 19, 2016 9:19

Moin Jockel,

ich will Dich nicht unterbrechen - die Smilies geben die Buttons nicht her, die ich suche...

... ah - da sind se ja:
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Dein Geschreibsel ist sehr schön zu lesen - weiter so !

Horido
Mai-O-Fahrt 2020 vom 30. April bis 2. Mai 2021 in Bosau

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Re: ostseerunde (5)

Beitragvon Theo » Mo Sep 19, 2016 9:42

...
In einem anderen Land sollte man zumindest die wichtigsten Sachen in der fremden Sprache sagen können, solche Begriffe wie ja, nein, bitte, danke, Guten Tag, Auf Wiedersehen und die Frage, ob jemand deutsch/englisch spricht. Da finde ich kleine Wörterbücher ganz hilfreich, und ich hatte die für finnisch, schwedisch und dänisch wie auch die entsprechenden Karten "unserem" Tom gegeben, damit er sie nach St. Petersburg mitbringt. Vorher brauchten wir sie ja nicht.
Ich finde, Grundkenntnisse der Sprache (und der Schrift in Rußland) hilft deutlich bei zentralen Dingen wie Wegfindung und bei der Auswahl im Supermarkt. Und es hilft, den Menschen zu begegnen. Sonst war ich ja eigentlich gar nicht da.
...

Wir hatten und wollten kein Navi, stattdessen gab es von allem Karten.
...
Mein lieber Herr Jockel,

Du bist ein Sympath. An dieser Einstellung können sich mMn viele eine recht dicke Scheibe abschneiden, vor allem deutsche Touristen! Und das Navi brauch ich auch nicht ...ich habe einen Kopf zum Denken und es macht mit Karte mehr Spaß. Wie mit der Sprache setzt man sich intensiver mit dem Land auseinander.

Übrigens ein sehr schöner Bericht, ich lese wie viele andere gerne mit. Störe Dich nicht an der geringen Resonanz: heutzutage ist es modern, nur zu konsumieren. Der Mensch will berieselt werden!

Besonders schön finde ich bei Dir den Aspekt der Auseinandersetzung mit der fremden Kultur in Form von Sprache (persönliche Kontakte), Land, Natur, Sehenswürdigkeiten, Museen,etc. Das ist ganz auf meiner Linie und intensiviert die Reise ungemein. Da tritt das eigene Fahrzeug bzw. das Fahren damit schon mal in den Hintergrund.

Und mitreißend ist die gelungene Mischung aus interessanten Fotos, geschilderten persönlichen Erlebnissen und übersichtlichem Kartenmaterial.

Weiter so
LG, Theo
Erlaubt ist, was gefällt !
Si libet, licet! Aelius Spartianus

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Re: ostseerunde (1-3)

Beitragvon Jockel » Mo Sep 19, 2016 12:29

Moin alle,
ich will Dich nicht unterbrechen
Ich hab am Ende der einzelnen Etappen einen Link zur nächsten eingefügt, damit man sich aussuchen kann, ob man den ganzen thread oder nur die Etappen lesen möchte.
Ist also kein Unterbrechen.
;)
Und das Navi brauch ich auch nicht ...ich habe einen Kopf zum Denken und es macht mit Karte mehr Spaß. Wie mit der Sprache setzt man sich intensiver mit dem Land auseinander.
So erlebe ich das auch.
Die ganze Karre ist analog.
Mit Karte kann man zwar nicht reinzoomen und all dies (da muß dann halt bei fortgeschrittener Altersweitsicht die Lesebrille ausm Tankrucksack gepuhlt werden), aber diese wasserfesten Karten von Reise Know-How sind wirklich genial, auch wenn sie an manchen Stellen ungenau sind.
Das weiß man - hinterher.
:roll:

Leider hab ich im Moment echt viel zu tun (selbst & ständig...) und kann nicht dauernd geistig die Reise wiederholen, sonst verliere ich mich darin und komme zu nix mehr. Außerdem ist es für mich als Graphik-Ignoranten (frag mal XTom) ein ziemlicher Aufwand, die Bilder hinzubiegen.
Deswegen müßt Ihr euch etwas gedulden, bis es fertig ist.
Wird schon.
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ostseerunde (Tag 6: Airītes - Treimani)

Beitragvon Jockel » Mo Sep 19, 2016 21:07

Die Fahrt nach Riga war auch geprägt von - waren es drei? - Alkoholkontrollen, die ziemlich riguros waren: JEDER mußte pusten.
Die lettische Polizei sperrte kurzerhand die gesamte Straße in beiden Richtungen mit Dutzenden von Beamten ab und ausnahmslos alle Fahrer wurden kontrolliert. Dabei gab es Modelle, in die man in ein Mundstück blasen mußte, wie wir das kennen, bei anderen wurde einfach aus ein paar Zentimetern Entfernung in ein größeres Loch im Gerät reingepustet.
Selbstverständlich waren wir "sauber".

Wir nahmen die kleineren Straßen, hatten aber erstmal keinen Schotter mehr. So düdelten wir durch die grüne Gegend, von Zeit zu Zeit unterbrochen von Straßensperren der Ordnungsmacht.
20160624_100000_track_Airites-Treimani_287.jpg
Tag 6 (287 km)
Gegen Mittag waren wir in Riga und wollten eigentlich gleich wieder raus - die Hitze war in unseren Klamotten kaum zu ertragen. Nachdem wir auf der Suche nach einer Zufahrt zur Altstadt die verschiedenen Brücken über die Daugava ausprobiert hatten, fanden wir einen ebenso hübschen wie illegalen Parkplatz in der Nähe des Doms direkt vor einer Touristenbar.
Darin gab sich eine größere Gruppe britischer Fußballfans ein Stelldichein. Nach meinem Eindruck feierten sie nicht schon wieder, sondern immer noch und verkündeten lautstark, sie wollten "fucking fun" (sie hatten noch drei Tage bis zur Niederlage gegen Island, und das wußten wir alle noch nicht).
Jens ging los und sah sich ein wenig in der beeindruckenden Altstadt um, ich hütete unsere Knatterkisten nebst Gepäck. Dazu stellte ich mich in den Schatten, sonst wäre ich geschmolzen. Als er zurückkam, hatten wir nicht bloß einen Haufen Bilder von Sachen, die ich gar nicht gesehen hatte, sondern auch lecker Backwerk aus einer amtlichen Bäckerei, über die er gestolpert war.
20160624_122010_jb_Riga_1100_72.JPG
Sieht nicht nur aus wie Zuckerwerk, das machen die da auch.
20160624_121330_jb_Riga_1100_72.JPG
Riga. Echt sehenswert...
20160624_120726_jb_Riga1100_72.JPG
...auch bei der Hitze.
Dann wieder raus aus der Stadt, was schwierig war, denn die Beschilderung ließ etwas zu wünschen übrig. Schließlich erreichten wir die "Autobahn" A1 Richtung Norden (die eher sowas ist wie eine vierspurige Bundesstraße). Erstmal wollten wir ein wenig Fahrtwind, um den drohenden Hitzekollaps abzuwenden und nebenbei ein paar Meter machen. Es ging prima voran, bis wir in Dunte, etwa 60 km nördlich von Riga, den Baron von Münchhausen entdeckten.
Ernsthaft.
Nicht gelogen.
Großes Indianer-Ehrenwort.

Jacobine von Dunten (sic!) war die nämlich erste Frau von Karl Friedrich Hieronymus Freiherr von Münchhausen (so sein ganzer Name) und hat ihn in diesem Dorf in Livland bei der Entenjagd kennengelernt und geheiratet. Also, nicht sofort, auf der Entenjagd. Wahrscheinlich. Äh...
Heute gibt es dort ein Museum, das für uns aber nicht so reizvoll war.
20160624_144920_jb_Dunte_jj_800_180.jpg
Wir mißbrauchten aber die die wehrlose Statue für eine Selbstauslöser-Session.
20160624_145726_jb_Dunte_jb_jj_800_180.JPG
Weiter ging es Richtung Ainaži, um dann bei Ikla die (völlig unsichtbare) lettisch-estnische Grenze zu überqueren. Kurz dahinter liegt ein kleiner Ort namens Treimani, in dem es einen Laden gibt, von zwei alten Damen und einem alten Herrn betrieben, der ein ganz normaler Dorfladen zu sein scheint. Außerdem gibt es einen wunderschönen Gratis-Campingplatz direkt am Meer mit Plumpsklo, Wasserpumpe und vielen Grillplätzen.
Jens kaufte im Laden wieder für ungefähr 20 € ein, extrem leckeres Grillgut und lokale Erfrischungsgetränke mit erheblichem Allokohlgehalt - und konnte mit EC-Karte bezahlen. Da staunten wir aber.

Es war Freitag nach einem Feiertag, der Platz war gut gefüllt, aber zwei XTs und zwei Hundehütten passen ja immer noch dazwischen.
20160624_163900_jb_Treimani_cut_1300_72.JPG
Schwierig war nur, an Feuerholz zu kommen, weil der Wald in der Nähe praktisch gefegt war. Da mußte der Jockel dann doch regelrecht den Esel geben.
Macht nix, Hauptsache brennt.
Unsere Nachbarn waren mit dem Auto da, Eltern, zwei Kinder, und hatten keine Einwände, daß wir den Grill mitbenutzten. So kamen wir ins Gespräch, zunächst etwas holperig auf englisch, dann stellte sich heraus, daß Michael deutsch spricht: Seine Mutter ist - Deutschlehrerin.
Die Familie kam aus Tartu, etwa 180 km ins Landesinnere, zwischen den beiden großen Seen von Estland gelegen, und sie machten dasselbe wie wir: Ein paar Tage Ferien an der Ostsee. Nur nicht so lange und so weit.
Da konnte ich gleich aus erster Hand die wichtigsten Sachen lernen, und Eesti ist wirklich sehr fremd für mein Ohr, auch wenn es sich ein bißchen wie finnisch anhört.
Kostprobe?
Danke. Aitach.
Entschuldigung. Vabandust.
Sprichst Du deutsch? Rägitte teja saksa keelt?

Hier haben wir übrigens scheinbar das einzige Bild von dem Birkenprengel gemacht, Verzeihung, dem "Staffelstab", den wir auf unserer Runde mitgenommen haben und Jens hat ihn dann XTom gegeben, und der hat ihn Ulli gegeben, und der hat ihn auf den Gepäckträger geschnallt und ist damit andersrum gefahren (irgendwo hatte Tom auch ein Bild reingestellt, aber ich find' es nicht wieder).
Der Einzige, den ich kenne, der in diesem Sommer zweimal um die Ostsee gefahren ist:
20160624_163900_jb_Treimani_Staffelstab.jpg
Man beachte die ergonomisch vorbildliche Sitzhaltung des Staffelstabes auf dem Gepäckträger.
Wir haben uns dann mit Michael zusammen die Karte angesehen, der ein paar Tips für uns hatte und festgestellt, daß wir ziemlich weit vorne sind - nur noch gut 500 km auf direktem Weg nach St. Petersburg. Und noch vier Tage Zeit.
20160624_201432_jb_Treimani_jj_800_180.JPG
Also haben wir beschlossen, daß die estnischen Inseln Saarema und Hiiumaa unser nächstes Ziel sind. Das war spannend, weil es zwischen den beiden in jeder Richtung nur vier Fähren täglich gibt, wir wollten es aber riskieren.
Große Pläne also, aber nach dem Baden gab es erstmal einen gemütlichen Abend am Feuer.

Weiter: Treimani - Hiiumaa
Zuletzt geändert von Jockel am Mi Okt 19, 2016 23:47, insgesamt 6-mal geändert.
Zuversicht ist das Gefühl, das Du hast, kurz bevor du das Problem ganz verstehst.

XTfant

Re: ostseerunde (1-3)

Beitragvon XTfant » Di Sep 20, 2016 0:17

Hi Jockel

...ganz toll geschrieben. Bin fasziniert.
Worüber ich aber herzhaft lachen musste, war das Bild. :lach:

Gruß
Kirsten
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20160624_145726_jb_Dunte_jb_jj_800_180.jpg
20160624_145726_jb_Dunte_jb_jj_800_180.jpg (68.73 KiB) 11784 mal betrachtet

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Re: ostseerunde (1-3)

Beitragvon Feuerstuhl » Di Sep 20, 2016 9:08

Thema, Wortwahl, Schwerpunkte, Bilder - hier passt einfach alles zusammen! Herzlichen Dank für diesen wirklich packenden Reiseberichtz- ich freue mich schon auf die Fortsetzung!

Kick it,

F.
Bazinga!

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ostseerunde (Tag 7: Treimani - Hiiumaa)

Beitragvon Jockel » Sa Sep 24, 2016 16:29

Den lokalen Cider fand ich eher gewöhnungsbedürftig, das Bier war sehr lecker, vom Abendessen gar nicht zu reden, das Jens wieder mal exquisit hinbekommen hatte.
Wir schliefen aus und gingen nochmal ins Wasser, büschen frisbisieren..., das war schon fast Urlaub. Unerhört!

Gegen halb elf kamen wir dann mal in die Pötte. Wegen der Hitze zogen wir uns die Fahr-Klamotten immer erst an, wenn wir schon fast alles aufgeladen hatten.
20160625_103334_jb_Treimani_jj_cut_1400_72.JPG
Ich hatte übrigens in einem estnischen Forum schon mal auf englisch nachgefragt, freundliche Tips bekommen und auch von unseren Erfahrungen berichtet (siehe diesen thread (Vorsicht, Spoiler).

Wir wollten an der Küste längs über Pärnu und dann Richtung Saremaa, und am Ende kam das dabei heraus:
20160625_110000_track_Treimani-Hiiumaa.jpg
Tag 7 (326 km)
Pärnu war uns als ganz ansprechend empfohlen worden, wir sind aber nach kurzem Halt zum Geld holen gleich weiter an der Küste längs. Das war im Nachhinein betrachtet eine gute Entscheidung, denn wir fanden einerseits sehr schöne Schotterstrecken auf der Halbinsel, andererseits kamen wir zur Fähre nach Muhu gerade noch zur rechten Zeit, aber ich greife vor.

Ganz im Süden der Halbinsel vor Pärnu, die Nästi-Võlla sokaitseala heißt, gibt es ein Schutzgebiet für irgendwelche Vögel, das vom Land Schleswig-Holstein und dem NABU gefördert wurde. Leider stehen alle Erklärungen dort nur in Eesti und die (Wasser-)Vögel waren zwar recht groß (etwa wie eine Trappe), aber zu weit weg, um sie zu erkennen.
20160625_133234_jb_Peerni_Voegel_detail_1500_72.JPG
Weiß jemand, was das für Vögel sind?
(edit: Es sind Graureiher. Sagt der NABU S-H.)
Ein schicker Aussichtsturm brachte uns auch nicht weiter ran, aber immerhin eine tolle Aussicht.
20160625_132934_jb_Peerni_Panorama_1500__72.JPG
Über weitere Schotterstrecken und kleine Sträßchen pusselten wir uns weiter Richtung Virtsu, wo die nächste Fähre nach Muhu (der Insel vor Saarema) ablegt und bemerkten langsam, daß der Sprit zur Neige geht. Die Orte, durch die wir kamen, hatten freundliche Menschen, manche auch Geschäfte, aber keiner eine Tanke. Oha.
Wir sprachen einen Menschen mit einem Fahrrad an, und es stellte sich heraus, daß er nur Eesti und russisch spricht. Mit Händen und Füßen verständigten wir uns, und wir erfuhren, daß in Virtsu die nächste Tanke ist, dafür bekam er von mir Feuer. Alle waren glücklich.
Die Reserve von 1,5 l hatte ich schon drin und es waren noch 16 km. Mit lediglich etwas Staub im Tank rollte ich um kurz vor fünf auf die Tankstelle, fix aufgefüllt und gleich weiter zum Hafen. Dort angekommen, wurden wir von der Kasse aus gleich weitergeschickt, denn die Fähre legte gerade ab. Wir waren so knapp, daß wir beim Absteigen auf der Fähre schon abgelegt hatten. Puh.

Von der Insel Muhu führt ein Damm auf die größte Insel Estlands, Saaremaa, wo wir uns ein bißchen umsahen und uns Richtung Triigi orientierten, wo die Fähre nach Hiiumaa ablegt (Hafen heißt auf Eesti übrigens sadama, wichtig für Hinweisschilder). Dort angekommen, erfuhren wir, daß wir noch etwas Zeit haben, bis die letzte Fähre abfährt. Schick, also kamen wir am selben Tag noch weiter.
Noch schicker war die Versorgung in dem kleinen Bistro am Hafen, denn dort gab es hausgemachte Saft-Getränke und handgedengelte, extrem leckere Tomatensuppe mit Sahne und frischem Basilikum bei einer sehr freundlichen Wirtin. Jens kam mit dem Vater der Wirtin ins Gespräch, der uns einen Campingplatz ganz im Nordwesten von Hiiumaa empfahl.
Es gibt übrigens für die verschiedenen Gratis-Campingplätze in Estland eine eigene Webseite: http://www.loodusegakoos.ee/. Dort ist auch der in Hirmuste zu finden, wo wir nun hinwollten: http://www.loodusegakoos.ee/where-to-go ... e-campsite

Die Fähre brachte uns hinüber auf die andere Insel, während wir ein mächtiges Gewitter über der Ostsee beobachten konnte, das uns jedoch nicht betraf.
20160625_180338_jb_Triigi_Faehre_Moppetts_800_180.jpg
Japanische Moppetts aus Deutschland auf ehemals griechischer Fähre in Estland.
Auf Hiiumaa angekommen, orientierten wir uns Richtung Norden und fanden wieder mal sehr hübsche Schotterstrecken und einige Sehenswürdigkeiten. Da war erstmal der Flaschenbaum, von dem wir nicht wissen, was er zu bedeuten hat.
20160625_201936_jb_Hiiumaa_Flaschenbaum_800_180.jpg
Kunst mitten im Wald?
Als wir weiterfuhren, hielten wir an einer Kreuzung an und diskutierten die weitere Strecke, weil es praktisch keine Beschilderung gab und wir uns schon in der Nähe des Platzes wähnten. Da bewegte sich das Unterholz in etwa 80 m Entfernung und aus dem Wald trat eher beiläufig - eine Elchkuh. Wir waren erstaunt und verblüfft über dieses riesige Wesen, das nun dort auf dem Weg stand und uns ansah. Sie stufte uns wohl in die Kategorie "ungefährlich/langweilig" ein, überquerte den Weg und verschwand wieder im Grün. Keiner von uns besaß die Geistesgegenwart, an ein Foto zu denken.

Nach einiger Sucherei fanden wir ein miniwinziges, geschnitzes Schild, das auf den Zeltplatz hinwies. Noch drei, vier km über einen Waldweg mit vielen großen Pfützen (wir hatten eine trockene Fahrt, aber das Gewitter, das wir gesehen hatten, war genau hier gewesen) kamen wir an.
Der Boden war noch naß, das störte uns aber gar nicht, sondern wir bauten unsere Zelte auf und genossen die Aussicht auf den endlosen Sonnenuntergang bei (fast) vollem Mond.
Wunderschön.
20160625_225724_j_Hiiumaa_jb_1200.JPG
20160625_225628_j_Hiiumaa_800_180.JPG
Mit den anderen Campern hatten wir nette Schnacks auf englisch und machten uns spät noch was Leckeres, dann ins Bett.
Morgen geht's nach Tallinn.

Weiter: Hiimumaa - Tallinn
Zuletzt geändert von Jockel am Sa Nov 12, 2016 19:00, insgesamt 10-mal geändert.
Zuversicht ist das Gefühl, das Du hast, kurz bevor du das Problem ganz verstehst.


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